Heute ist
Mittwoch, 5.30Uhr, noch lange dunkel draußen, eigentlich hatte ich
gehofft nicht ständig zu so einer Zeit aufstehen zu müssen aber,
naja es heißt eben flexibel sein hier auf Kamtschatka. Und da wir
jetzt eine Motorsäge haben zum arbeiten braucht diese eben auch
Benzin, Öl und Werkzeug und das gibt es eben nur in Esso nicht in
Menedek oder Anavgaj. Also heißt es wieder fix zum Bus laufen denn
der fährt um sieben ab nach Petro!
Heute ist
unser Bus recht voll, ich gehe nach hinten Micha bleibt vorne wo er
dem Fahrer rechtzeitig sagen kann wo er anhalten soll. Ich habe
ausfallend schlechte Laune heute, und Micha hat schon seinen Joker
für heute verspielt, denn er hat mein Wollhemd an und nicht Seins,
wir haben zwei gleich aussehende Wollhemden in modischem oliv und ich
habe in meines extra meinen Namen reingeschrieben weil ich es nicht
mag anderer Leute Körpergeruch zu tragen besonders wenn man
unterschiedliche Ansichten von...naja lassen wir das, ich mag das
nicht, und Micha ist das nicht so wichtig, er hat mal wieder nicht
geschaut was er anzieht. Somit trägt Micha meine Jacke als Pullover
und somit ich kann vor meinem inneren Auge förmlich riechen und
sehen wie Sie vollgeschweist wird! Doch es bleibt keine Zeit zum
Umziehen wir müssen zum Bus und vielleicht bin ich ja wirklich heute
etwas empfindlich, sage ich zu mir und trotte mit Micha im Eiltempo
zum Bus wir sind spät dran. Im Bus schmeißt der Fahrer erst einmal
die Glotze an und ich darf mir zwei grauenhafte Folgen einer
russischen Sitcom ansehen mit hallendem Ton, wobei ich mir erst nicht
sicher bin ob es sich hier um eine extra billige Synchronisation
einer amerikanischen Verdummungsreihe handelt doch bei der zweite
begreife ich das dieses hier eine russische Produktion handelt. Sie
ist grauenhaft schlecht, und da ich nicht viel verstehe geht mir das
ganze Spektakel erst recht auf den Sender. Endlich ist es Zeit zum
Aussteigen und befreit trete ich ins dunkel Licht der Morgendämmerung
und wir stapfen wieder zu Häuschen, wo wir erstmal noch ein
Nickerchen machen wollen bis es hell wird da auch Micha mit dem
linken Fuß zu erst aufgestanden zu sein scheint. Bevor wir uns
hinlegen mache ich den großen Fehler und rieche tatsächlich an
meinem Wollhemd welches mir Micha jetzt wieder herüber reicht. Oh
Mist, es ist natürlich so wie ich es befürchtet hatte und somit
geht die zweite Rüge über Micha hernieder. Armer Micha, denkt ein
Teil von mir und geht lieber ins Bett!
Als wir
aufwachen ist alles besser, wir reparieren und betanken sie Säge,
stapfen hinter in den Wald und machen uns ans Werk. Tüchtig arbeiten
wir bis zum Abend, ich fälle die Birken, Micha enastet sie und dann
schneide ich sie auf Länge zu. Am Nachmittag fangen wir an alles was
wir gesägt und entastet haben zum Hüttenplatz zu tragen, danach
kann keiner mehr nur die Hand heben! Feierabend, der Tag war heute
wie im Fluge vergangen, wir haben viel geschafft.
Als wir in
die Hütte kommen dämmert es schon und mir fällt plötzlich ein was
für ein Tag heute ist, im Waldkindergarten denke ich hätte ich das
nie vergessen, es wäre wie jedes Jahr ein aufregendes und schönes
Fest geworden. Bei allem was auch bei uns als Team zum Schluss im
Argen lag, unsere Jahreskreisfeste und besonders Samhain, war für
mich immer ein sehr intensives Fest mit den Kindern und meinem
Kollegen an das ich mich noch lange und gern erinnern werde. Andreas,
der mit den seinem Familienwappen, seinen alten Fotos von seinen
Großvätern von denen er Fotografien besaß seit man eben Fotos
machen konnte, eine langen Verbindungsfaden für uns und die Kinder
von Heute in die Vergangenheit spinnen konnte. Und der über jeden
dieser Großvätern eine Geschichte erzählen konnte die sich in den
großen Augen der Kinder widerspiegelte die wie gebannt zuhörten.
Und Kathrin die immer eine Fotografie ihrer Lieblingsgroßmutter
mitbrachte und den Kindern von ihr erzählte. Auch wusste sie den
Kindern gut zu erzählen das die Dinge vergänglich sind, kommen und
gehen, geboren werden und sterben dürfen, das Wiedersehen und
Abschied nahe beieinander liegen und notwendig sind für den Wandel
der Welt, der Jahrhunderte, Jahre und Jahreszeiten! Auch die
Geschichte von Jack und dem Kürbis wie wir ihn heute für diesen
Fest benutzen hallte wieder durch mein Bewusstsein und die riesigen
Augen der Kinder in denen sich der Schein der kleinen Lichter die aus
unseren Kürbissen leuchteten widerspiegelte und zu glänzen schien.
Marion
wanderte durch meinen Kopf mit Geschichten von marodierenden Bären
in Canada, ihrer Zeit bei den Blackfeeds, stehlenden Affen und
Kojoten die Pupswurzeln aßen.
Über diese
Gedanken schleichen sich dann die lang vermissten Gefühle der
Dankbarkeit über die gemeinsam verlebte Lern- und Lebenszeit mit
meinen Kollegen, als Waldläufer im Waldkindergarten Pankow in mein
Herz. Jetzt hier auf dem Weg runter zum Fluss brechen die knackend
langsam die Dämme und Bilder, Gefühle, Gedanken strömen wie das
Wasser im tosenden Anavgaj durch mich hindurch und ich stehe tief
berührt und heulend mit meinem Eimer in der Hand am Flussufer. Ich
war hart geworden in den letzten Jahren auf der Arbeit, etwas in mir
hatte sich verhärtet, und Frust, Enttäuschung und Routiene haben
mein Herz nach und nach überschwemmt und es blind gemacht für das
Schöne und die Geschenke die diese Arbeit mit meinen Kollegen
draußen im Blankenfelder Forst mit sich brachte. Zeit sich zu
erinnern, Zeit alles anzuschauen, raus zu lassen, Zeit allen Ärger,
alle Wut, alle Enttäuschung, alle Kränkungen, alle angestauten
schlechten Gefühle den Wassern des Anavgaj zu übergeben! Wasser ist
so gütig, es nährt uns und die anderen Mitwesen, wir alle bestehen
aus großen Teilen ihm und wenn wir es darum bitten nimmt es auch
alte Dinge fort, löst sie auf, transformiert Sie und gibt sie wieder
als geläuterte, neue erfrischende Energie frei! Wisst ihr, es ist
ganz leicht, wir brauchen nur raus zu gehen und darum zu bitten!
Plötzlich
ist es schon dunkel und mir fällt ein das Micha bestimmt schon
wartet, wir noch Holz machen müssen für die Nacht, also fülle ich
meinen Eimer mit dem kühlem klaren Wasser und wasche mir noch die
Hände und benetze mir das Gesicht. Jetzt fühle ich mich ganz
leicht, ganz klar! Erfrischt schaukle ich zur Hütte zurück wo Micha
schon Holz herein geschafft hat und mit fragendem Gesicht auf mich
wartet. Wo warst du den so lange, ich dachte du bist in den Fluss
geplumst. Ich gucke ihn an, grinse und sage ich war am Fluss Micha,
unten am Fluss!
Wir haben
einen schönes Abendessen, es ist warm, es ist einfach aber alles ist
da, wir verspüren keinen Mangel. Dankbar genießen wir den Abend im
weichen Schein der Kerzenflamme, auf unseren Rentierfellen sitzend,
es herrscht fast festliche Stimmung! Wiedereinmal sonderbar wie sich
der Tag manchmal wandelt, denke ich...und schlafe bald ein! Plötzlich
mitten in der Nacht Hundegebell! Ich hatte ganz vergessen zu erzählen
das wir zwei Gäste haben! Unter unserer Hütte wohnen seit
vorgestern zwei Laikamischlinge, einer ganz Schwarz, einer fast Weiß.
Diese trollen sich in der die meiste zeit um die Hütte herum und
versuchen hier und da einen Bissen zu erhaschen! Und heute Nacht
waren sie eben auch unsere Wachhunde!
Also
Hundegebell, definitiv Alarmgebell! Draußen nährt sich was durch
den Schnee stapfend der Hütte. Wieder Gebell und diesmal mit
Geknurre, da kommt etwas und stapft auf unsere Hüttentür zu. Micha
steht im Bett, ich bin jetzt auch halb wach, da bummert es an unser
Tür und rüttelt. Micha regt sich und ist schon beim Schürhaken,
ich habe mein Messer schon gepackt, da schallt uns eine russische
Frauenstimme entgegen. Ich bin`s Liija, macht mal auf! Und als Micha
völlig verpennt an der Tür steht, steht ihm die Meledekcheffin
Lilja gegenüber, offensichtlich scheint es schon früh morgens zu
sein und so quäle ich mir ein verschlafendes Dobroje Utra über die
Lippen. Doch Lilja lallt das es nicht morgen sei sondern mitten in
der Nacht und sie hier schlafen will. Die Gute ist voll wie ne
Feldhaubitze und offensichtlich die fünf Kilometer von Anavgaj
hierher gewankt.Ich mache platz und lege mich zu Micha auf die auf
dem Boden liegenden Rentierfälle und bin wieder im Dämmerschlaf
während Lilja Micha noch zu lallt. Plötzlich wieder Schritte und
die Tür fliegt auf. Im Halbdunkel kann ich Ilias einen ewenischen
junge Mann erkennen mit dem Wir hier vor ein paar Wochen zusammen
gearbeitet haben. Er setzt und fängt und erzählt offensichtlich das
er Lilja nachgegangen sei um zu Schauen ob sie auch wirklich
angekommen ist! Dann höre ich noch Sounds eines Computerspiels,
Ilias ist langweilig und er erwidert das von Suff von Lilja
dahingeschwafelte nur noch desinteressiert und abwesend, ganz in sein
Spiel vertieft. Alles so spielt sich so ab, als ob wir nicht auf dem
Boden liegen und schlafen würden, als ob wir nicht anwesend sein
würden. Skurril das ganze und das alles im Halbschlaf! Nach einer
weile dampft Ilias ab und lässt uns und die jetzt frierende Lilja in
der Hütte alleine. Nach einer weile höre ich immer wieder ein
schlottern gefolgt von einem gefrösteltem „Cholodna“, was soviel
wie kalt heißt! Es ist wieder wie in einem Theaterstück! Igendwann
nach weiß ich wie lange gewimmer, fragt wohl Lilja Micha endlich den
Ofen wieder anzumachen. Micha sammelt widerwillig ein paar Felle
zusammen deckt die ohne Decke auf der Pritsche liegende Lilja mit
Deken und Fällen zu, macht den Ofen wieder an und in der
Zwischenzeit ertönt bereits leises Schnarchen aus Liljas Richtung.
Na endlich, höre ich Micha stammeln der sich schwer wieder auf seine
Fälle plumpsen lässt und wir schlafen ein. Ich bekomme noch einmal
mit wie im Morgengrauen jemand aus der Hütte schleicht, dann wache
ich erst um halb zehn auf und mache uns Frühstück! Kopfschüttelnd
und schmunzelnd sitzen wir uns dann bei Haferbrei und schwarzem Tee
gegenüber...Tja, Russland eben, der tägliche Wahnsinn, sagt Micha
und ich kann nur wortlos zustimmen! Es gibt nix mehr dazu zu sagen!
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