Sonntag, 18. November 2012

11. - 14. November, Esso- Anavgaj, ... der Scheingeburtstag & Frostbeulen...


Scheingeburtstag & Frostbeulen...

Geiles Wetter! Sonnenschein und fette Minustemperaturen, so hatte ich mir den Winter in Kamtschatka im November vorgestellt, dachte ich als ich mich mit Micha zu unserem Sonntagsbad im wärmen Thermalbecken der örtlichen Kureinrichtung dahin schwappte. Es war herrlich, draußen um die – 20C°, hier im Wasser der heißen Quellen 40-60C°, das nenne ich Luxus. Beim Plaudern erzählte mir Micha das unsere russische Freundin Xjuscha ihm nebenbei erzählt hätte das sie am Montag Geburtstag hätte und es sehr schade fand das wir nicht da sind, was Micha Gott sei dank voll bestätigte! Immer rein in die Wunde! Da reifte in mir und Micha natürlich ein Plan unsere Abreise einen Tag zu verschieben und Xjuscha mit einer lustigen Überraschungsparty und ein paar kleinen Gemeinheiten zu beschenken. Oh war dit nen Spaß sich wieder die tollsten Dinge auszudenken, ick liebe sowat! Ok, der Plan war gemacht unsere Mädels auch eingeweiht und während in der Parkoffice ein normaler Montag samt Rebeccas abendlichem Deutsch Unterricht stattfinden sollte kümmerten wir uns um die Vorbereitungen in der Basa! Am späten Nachmittag trafen wir uns noch mal in der Office zur Endbesprechung und die Letzten Instruktionen wurden erteilt, als...wie es manchmal so läuft, Xjuscha in der Tür steht und uns verdutzt mit großen Augen anstarrt. „ Was macht ihr denn hier, ich denke ihr seid in Anavgaj?“ Mist, damit hatte niemand gerechnet das die Gute eine Stunde früher vor dem Deutschunterricht hier in der Office erscheinen würde! Und somit war die Überraschung erstmal gelaufen bzw. der Überraschungseffekt dahin. Aber es kam noch dicker, hihi, Rebecca sprang auf und wollte die Situation retten um uns Zeit zum reagieren zu verschaffen und gratulierte Xjuscha aufs herzlichste, als in ihrem Gesicht ein noch größeres Fragezeichen erschien! Wie Geburtstag, sagte diese leise mit verwirrtem Blick. „Na du hast doch heute Geburtstag und jetzt komm erstmal mit...“sagte Rebecca und zerrte an Xjuscha um sie aus der Tür des Büros zu bekommen bevor sie noch doofe Fragen stellen konnte. Doch da sagte Xjuscha allerdings „ nein, nein ich hab doch erst nächsten Montag Geburtstag, nicht Heute, wer hat euch denn den Mist erzählt?“
Jetzt war es Micha der fast aus den Latschen kippte, und verdutzt dreinschaute, aber aber...stammelte er und schien zu begreifen das er sich wohl verhört hatte. Tja, so ist dit wohl mit der deutsch – russischen Kommunikation, die ist nicht immer ganz einfach. Das Wagnis der Sprache! Micha war also für den Rest des Tages abzuschreiben, er wirkte völlig verwirrt und als ob man ihm die Luft herausgelassen hätte. Tja, wiedereinmal hatten sich die Dinge blitzschnell verändert! Das Leid der Veränderung! ;-)
Also ging es am Dienstag einfach wieder in aller Herrgotts Frühe in Richtung Anavgaj. Es war sehr sehr kalt heute Morgen, verdammt kalt als wir aus dem Bus ausstiegen und flugs nach Menedek stapften. Doch Micha flog erstmal auf die Fresse...denn heute morgen war es duster wie im Bärenarsch und so tasteten wir uns langsam wie ein paar Blinde mit vorgestreckten Armen in Richtung der Blockhütte vor. Micha verkrümelte sich bis zur Dämmerung in seinen Schlafsack und ich Machte Feuer im Ofen und ging mit dem Eimer Wasser holen zum Fluss. Im Zwielicht kletterte ich die die Böschung herunter zu unserer Wasserstelle am Anavgajfluß. Der Anblick war auch im Halbdunkel absolut umwerfend! Das Wasser in welchen ich meinen Eimer tauchen wollte schien total dickflüssig zu sein, es glänzte im ersten Licht wie Plasma. Tausende kleine Eiskristalle schwammen in der schnellen Anavgaj an mir vorbei was das Wasser dickflüssig und träger als sonst machte, es war also kurz vor dem Erstarren. So ein Schauspiel hatte ich noch nie vorher gesehen, ich war hin und weg. Ganz verzaubert hockte ich am Flussufer ,das jetzt schon einen Meter dick zugefroren war und ließ das Eisplasma fasziniert in meinem fließen. Dann lief ich zurück zur Hütte wo Micha schon selig schlief, legte noch mal Holz nach und schlich in den Wald zum Hüttenplatz. Auf dem Weg fand ich viele interessante neue Trittsiegel und Fährten im neuen Schnee und auch ein wenig Losung verriet mir wer hier in den Letzten Tagen und Stunden unterwegs war. Auch am Hüttenplatz und in der Nähe unserer Feuerstelle waren jede menge Mäusespuren, Tannenhäher und Meisenspuren, es hatte sich schon nach wenigen Tagen herumgesprochen bei den Tierleuten das es hier manchmal etwas zu hohlen gibt.
Ich sammelte Lärchenreisig und trockene Äste zusammen, schichtete diese zu einem Feuertipi auf und lud das Feuerkind mit Lied und Birkenrinde zu mir ein um um meinem kleinen Teekessel zu tanzen. Just in dem Augenblick wo die Flammen kräftig in die Höhe schlugen brach gleißendes Sonnenlicht hinter den Bergen hervor und tauchte die weiße Winterlandschaft in ein märchenhaftes Glitzern. Schön!
Nach Tee trinken und Sonne tanken ging es dann wieder an meine Lieblingsarbeit...Bäume schälen. Absolutes Sahnebonbon heute, die Rinde der Stämme war gefroren und somit war es heute als würde man Eis kratzen. Ganz großes Kino! Nach 3 Stunden hatten wir jeder 3 ganze Stämme geschält und es wurde klar das wir das von Micha gestern optimistisch formulierte Tagesziel von 15 Stämmen pro Person nicht mal ansatzweise erreichen würden. Schlechte Stimmung!
Beim Mittagessen am Feuer stellte ich dann fest das sich die ersten Frostschäden eingestellt hatten, meine Daumen an beiden Händen waren aufgeplatzt, Micha hatte ganz ähnliches darzubieten. Somit war das erste Opfer der intensiven Arbeit bei Schnee und Kälte zu verzeichnen, und für die Kamtschatka Versehrtenbigarde hieß endlich wieder „zum Appell, angetreten“! Irre, wir versuchten nun unsere Wunden mit dem guten russischen Pflastermaterial abzudecken und sie am weiteren Aufplatzen zu hindern, doch nun ist es leider nicht sehr gut um die Qualität der der russischen Pflaster bestellt, was zur Folge hatte das entweder nach dem Aufkleben das Pflaster zerriss bei der kleinsten Bewegung oder es sich gar weigerte überhaupt zu kleben! Es war also ein eher sinnloses Unterfangen das Verbandsmaterial zur konstruktiven Zusammenarbeit zu überreden. Wir schälten bis in die Dämmerung weiter und verschwanden dann in unserer Hütte wo wir wieder unseren Abendroutinen frönten. Um 21 Uhr waren wir bereits wieder in den Schafsäcken verschwunden und schliefen tief und fest.
Als es zu Dämmern begann drang ein lautes Dröhnen in meine Halbschlaf, das anscheinend immer näher zu kommen schien, und plötzlich war es sehr laut wurde wieder leiser und kam nach gefühlten fünf Minuten wieder zurück und verblieb genau vor unserer Tür. Kurz darauf flog in einem Satz die Tür auf und ich und Micha standen im Bett, bzw. auf unseren Rentierfellen. Ich mit gezücktem Messer, Micha mit dem Schürhaken in der Hand den er noch fix gegriffen hatte! Im Halbdunkel und im Schein unserer meiner Stirnlampe stand Nicolai, der zweite Chef von Menedek mit großen Augen.“Ich bins Jungs, Nicolai, legt euch wieder hin!“ Sagte er, schnappte sich irgend eine Plastiktüte hinter der Tür und war so schnell wie er kam auch wieder verschwunden. Zurück in der dunklen Stille blieben Micha und ich, überlegten kurz was das jetzt wieder war, sahen uns kopfschüttelnd an und brachen in schallendes Gelächter aus um kurz darauf wieder in unseren Schlafsäcken zu versinken bis es hell war draußen. Nach diesem morgendlichen Besuch waren wir etwas zerknirscht, es war schweinemäßig kalt in der Bude, unser Wasser war zu einem Eisblock gefroren und meine Füße waren es nach dem verlassen des Schlafsacks nach 10 Minuten auch. Mist! Micha hatte darauf bestanden Holz zu sparen und morgens nicht mehr den Ofen einzuheizen, er fände es unnötig, brauche das nicht, es würde Zeit sparen morgens und hätte das in der Zeit wo ich in Deutschland war auch nie gemacht. Sprich, Micha war gegen das Feuer machen morgens und saß jetzt fröstelnd am Tisch und stopfte kaltes Müsli mit kaltem Wasser in sich hinein.
Ich versuchte meine aufgerissenen Daumen einzupflastern und mich hinaus zu machen um dort an unserer Feuerstelle ein Feuer zu machen, meine Füße aufzutauen und zu Frühstücken. Irgendwie aber wollte heute alles nicht so gelingen und somit kippte mein Feuertipi um, das Holz qualmte wie irre, es dauerte ewig eh das Wasser bereit war zu kochen. Plötzlich fiel der Tschainik mit meinem fast kochenden Ingwertee vom Stock ins Feuer und löschte mit seinem heißen Inhalt, auf den ich jetzt seit einer gefühlten Ewigkeit gewartet hatte und den ich trinken wollte weil mir echt kalt war, ein Dreiviertel der Flammen. Nun war ich etwas perplex, und statt einen gewaltigen Schreianfall zu bekommen, schoss mit nur das Wort „Suboptimal“ durch den Kopf. Ich packte als meine am Feuer aufgetauten Füße wieder ein, und ging neues Holz sammeln. Scheißtag!
Micha wuselte schon an der Hütte herum, doch zwischen uns lag heute eisiges Schweigen, es herrschte dicke Luft und ich fühlte mich grade definitiv nicht in der Lage diese Luft zu klären. Ich saß mit schmerzenden, spröden Daumen, immer noch kalten Füßen und knurrendem Magen an einem qualmenden Feuer, bockig wie ein kleines Kind, sauer auf Micha und den Rest der Welt und kam nicht raus! Meine Stimmung wollte sich trotz gewiefter Selbstüberlistungsversuche nicht bessern, was mich natürlich noch viel übellauniger werden ließ. Als ich also eine ganze Weile vor mich hin gebrütet hatte setzte sich Micha irgendwann zu mir an Feuer und meinte das er darüber nachgedacht hätte ob wir uns vielleicht grade zu doll stressten mit unserem Hüttenbau und ob wir vielleicht heute Abend nach Esso fahren sollten und uns pflegen, mal wieder unsere Probleme mit dem Naturpark klärten und das deutsch – russische Kommunikationsproblem beheben( immer die selbe alte Leier die seid wir hier im Sommer aufgetaucht waren uns alle paar Wochen/ Monate wieder heimsuchte, näheres will ich hier nicht erklären, eingeweihte wissen wohl genau worum es geht!), mal schnell spontan ein paar Projekte für eine Projektwoche in der Schule von Esso vorbereiten...es gab seit Mitte dieser Woche plötzlich wieder viel, sehr sehr viel zu Tun.
Aber gut, Micha sprach mit seinen Gedanken aus dem Herzen, ich hatte auch schon überlegt was uns grade so verkrampfen ließ und hatte ähnliche Schlüsse gezogen. Nur war ich grade nicht in der Lage gewesen dies zu äußern da ich in meinem Loch saß, aber dafür ist man ja manchmal zu zweit. Und somit löste sich die ganze Spannung allmählich in Luft auf! Der Druck war erstmal raus, somit war wieder Platz für produktivere Gedanken und wir beschlossen mit der Arbeit an der Hütte zu pausieren und unsere Kursprojekte in Anavgaj weiter vorzubereiten. Wir wollten uns bevor wir heute Abend nach Esso fahren wollten noch mit einer Lehrerin aus der Schule von Anavgaj treffen, also fix angerufen und abgemacht. Mit Sack und Pack auf dem Rücken klingelten wir uns durch die ersten Häuser in Anavgaj, denn genaue Adressangaben mit sind hier meist am Telefon schwierig herauszubekommen, es lebe die Kommunikation, bis wir endlich die richtige Tür erwischten. Großes Hallo und ich will euch noch schnell eine Paar heiße Quellen zeigen, die ihr mal mit eurem GPS in eine Karte eintragen könnt für den Naturpark...dauert nur 15 Minuten! Nach einer Stunde ungeplantem Fußmarsch durch den Tiefschnee und 5 Quellen später beendeten wir unseren unverhofften Gepäckmarsch im Zentrum des Dorfes wo wir uns mit freundlichen Worten verabschiedeten und zum Bus eilten.
Ich und Micha schaute uns wieder nur an, Kamtschatka Modus, eigentlich nicht mehr weiter zu kommentieren!
Genug für Heute...


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