Scheingeburtstag
& Frostbeulen...
Geiles
Wetter! Sonnenschein und fette Minustemperaturen, so hatte ich mir
den Winter in Kamtschatka im November vorgestellt, dachte ich als ich
mich mit Micha zu unserem Sonntagsbad im wärmen Thermalbecken der
örtlichen Kureinrichtung dahin schwappte. Es war herrlich, draußen
um die – 20C°, hier im Wasser der heißen Quellen 40-60C°, das
nenne ich Luxus. Beim Plaudern erzählte mir Micha das unsere
russische Freundin Xjuscha ihm nebenbei erzählt hätte das sie am
Montag Geburtstag hätte und es sehr schade fand das wir nicht da
sind, was Micha Gott sei dank voll bestätigte! Immer rein in die
Wunde! Da reifte in mir und Micha natürlich ein Plan unsere Abreise
einen Tag zu verschieben und Xjuscha mit einer lustigen
Überraschungsparty und ein paar kleinen Gemeinheiten zu beschenken.
Oh war dit nen Spaß sich wieder die tollsten Dinge auszudenken, ick
liebe sowat! Ok, der Plan war gemacht unsere Mädels auch eingeweiht
und während in der Parkoffice ein normaler Montag samt Rebeccas
abendlichem Deutsch Unterricht stattfinden sollte kümmerten wir uns
um die Vorbereitungen in der Basa! Am späten Nachmittag trafen wir
uns noch mal in der Office zur Endbesprechung und die Letzten
Instruktionen wurden erteilt, als...wie es manchmal so läuft,
Xjuscha in der Tür steht und uns verdutzt mit großen Augen
anstarrt. „ Was macht ihr denn hier, ich denke ihr seid in
Anavgaj?“ Mist, damit hatte niemand gerechnet das die Gute eine
Stunde früher vor dem Deutschunterricht hier in der Office
erscheinen würde! Und somit war die Überraschung erstmal gelaufen
bzw. der Überraschungseffekt dahin. Aber es kam noch dicker, hihi,
Rebecca sprang auf und wollte die Situation retten um uns Zeit zum
reagieren zu verschaffen und gratulierte Xjuscha aufs herzlichste,
als in ihrem Gesicht ein noch größeres Fragezeichen erschien! Wie
Geburtstag, sagte diese leise mit verwirrtem Blick. „Na du hast
doch heute Geburtstag und jetzt komm erstmal mit...“sagte Rebecca
und zerrte an Xjuscha um sie aus der Tür des Büros zu bekommen
bevor sie noch doofe Fragen stellen konnte. Doch da sagte Xjuscha
allerdings „ nein, nein ich hab doch erst nächsten Montag
Geburtstag, nicht Heute, wer hat euch denn den Mist erzählt?“
Jetzt war
es Micha der fast aus den Latschen kippte, und verdutzt dreinschaute,
aber aber...stammelte er und schien zu begreifen das er sich wohl
verhört hatte. Tja, so ist dit wohl mit der deutsch – russischen
Kommunikation, die ist nicht immer ganz einfach. Das Wagnis der
Sprache! Micha war also für den Rest des Tages abzuschreiben, er
wirkte völlig verwirrt und als ob man ihm die Luft herausgelassen
hätte. Tja, wiedereinmal hatten sich die Dinge blitzschnell
verändert! Das Leid der Veränderung! ;-)
Also ging
es am Dienstag einfach wieder in aller Herrgotts Frühe in Richtung
Anavgaj. Es war sehr sehr kalt heute Morgen, verdammt kalt als wir
aus dem Bus ausstiegen und flugs nach Menedek stapften. Doch Micha
flog erstmal auf die Fresse...denn heute morgen war es duster wie im
Bärenarsch und so tasteten wir uns langsam wie ein paar Blinde mit
vorgestreckten Armen in Richtung der Blockhütte vor. Micha
verkrümelte sich bis zur Dämmerung in seinen Schlafsack und ich
Machte Feuer im Ofen und ging mit dem Eimer Wasser holen zum Fluss.
Im Zwielicht kletterte ich die die Böschung herunter zu unserer
Wasserstelle am Anavgajfluß. Der Anblick war auch im Halbdunkel
absolut umwerfend! Das Wasser in welchen ich meinen Eimer tauchen
wollte schien total dickflüssig zu sein, es glänzte im ersten Licht
wie Plasma. Tausende kleine Eiskristalle schwammen in der schnellen
Anavgaj an mir vorbei was das Wasser dickflüssig und träger als
sonst machte, es war also kurz vor dem Erstarren. So ein Schauspiel
hatte ich noch nie vorher gesehen, ich war hin und weg. Ganz
verzaubert hockte ich am Flussufer ,das jetzt schon einen Meter dick
zugefroren war und ließ das Eisplasma fasziniert in meinem fließen.
Dann lief ich zurück zur Hütte wo Micha schon selig schlief, legte
noch mal Holz nach und schlich in den Wald zum Hüttenplatz. Auf dem
Weg fand ich viele interessante neue Trittsiegel und Fährten im
neuen Schnee und auch ein wenig Losung verriet mir wer hier in den
Letzten Tagen und Stunden unterwegs war. Auch am Hüttenplatz und in
der Nähe unserer Feuerstelle waren jede menge Mäusespuren,
Tannenhäher und Meisenspuren, es hatte sich schon nach wenigen Tagen
herumgesprochen bei den Tierleuten das es hier manchmal etwas zu
hohlen gibt.
Ich
sammelte Lärchenreisig und trockene Äste zusammen, schichtete diese
zu einem Feuertipi auf und lud das Feuerkind mit Lied und Birkenrinde
zu mir ein um um meinem kleinen Teekessel zu tanzen. Just in dem
Augenblick wo die Flammen kräftig in die Höhe schlugen brach
gleißendes Sonnenlicht hinter den Bergen hervor und tauchte die
weiße Winterlandschaft in ein märchenhaftes Glitzern. Schön!
Nach Tee
trinken und Sonne tanken ging es dann wieder an meine
Lieblingsarbeit...Bäume schälen. Absolutes Sahnebonbon heute, die
Rinde der Stämme war gefroren und somit war es heute als würde man
Eis kratzen. Ganz großes Kino! Nach 3 Stunden hatten wir jeder 3
ganze Stämme geschält und es wurde klar das wir das von Micha
gestern optimistisch formulierte Tagesziel von 15 Stämmen pro Person
nicht mal ansatzweise erreichen würden. Schlechte Stimmung!
Beim
Mittagessen am Feuer stellte ich dann fest das sich die ersten
Frostschäden eingestellt hatten, meine Daumen an beiden Händen
waren aufgeplatzt, Micha hatte ganz ähnliches darzubieten. Somit war
das erste Opfer der intensiven Arbeit bei Schnee und Kälte zu
verzeichnen, und für die Kamtschatka Versehrtenbigarde hieß endlich
wieder „zum Appell, angetreten“! Irre, wir versuchten nun unsere
Wunden mit dem guten russischen Pflastermaterial abzudecken und sie
am weiteren Aufplatzen zu hindern, doch nun ist es leider nicht sehr
gut um die Qualität der der russischen Pflaster bestellt, was zur
Folge hatte das entweder nach dem Aufkleben das Pflaster zerriss bei
der kleinsten Bewegung oder es sich gar weigerte überhaupt zu
kleben! Es war also ein eher sinnloses Unterfangen das
Verbandsmaterial zur konstruktiven Zusammenarbeit zu überreden. Wir
schälten bis in die Dämmerung weiter und verschwanden dann in
unserer Hütte wo wir wieder unseren Abendroutinen frönten. Um 21
Uhr waren wir bereits wieder in den Schafsäcken verschwunden und
schliefen tief und fest.
Als es zu
Dämmern begann drang ein lautes Dröhnen in meine Halbschlaf, das
anscheinend immer näher zu kommen schien, und plötzlich war es sehr
laut wurde wieder leiser und kam nach gefühlten fünf Minuten wieder
zurück und verblieb genau vor unserer Tür. Kurz darauf flog in
einem Satz die Tür auf und ich und Micha standen im Bett, bzw. auf
unseren Rentierfellen. Ich mit gezücktem Messer, Micha mit dem
Schürhaken in der Hand den er noch fix gegriffen hatte! Im
Halbdunkel und im Schein unserer meiner Stirnlampe stand Nicolai, der
zweite Chef von Menedek mit großen Augen.“Ich bins Jungs, Nicolai,
legt euch wieder hin!“ Sagte er, schnappte sich irgend eine
Plastiktüte hinter der Tür und war so schnell wie er kam auch
wieder verschwunden. Zurück in der dunklen Stille blieben Micha und
ich, überlegten kurz was das jetzt wieder war, sahen uns
kopfschüttelnd an und brachen in schallendes Gelächter aus um kurz
darauf wieder in unseren Schlafsäcken zu versinken bis es hell war
draußen. Nach diesem morgendlichen Besuch waren wir etwas
zerknirscht, es war schweinemäßig kalt in der Bude, unser Wasser
war zu einem Eisblock gefroren und meine Füße waren es nach dem
verlassen des Schlafsacks nach 10 Minuten auch. Mist! Micha hatte
darauf bestanden Holz zu sparen und morgens nicht mehr den Ofen
einzuheizen, er fände es unnötig, brauche das nicht, es würde Zeit
sparen morgens und hätte das in der Zeit wo ich in Deutschland war
auch nie gemacht. Sprich, Micha war gegen das Feuer machen morgens
und saß jetzt fröstelnd am Tisch und stopfte kaltes Müsli mit
kaltem Wasser in sich hinein.
Ich
versuchte meine aufgerissenen Daumen einzupflastern und mich hinaus
zu machen um dort an unserer Feuerstelle ein Feuer zu machen, meine
Füße aufzutauen und zu Frühstücken. Irgendwie aber wollte heute
alles nicht so gelingen und somit kippte mein Feuertipi um, das Holz
qualmte wie irre, es dauerte ewig eh das Wasser bereit war zu kochen.
Plötzlich fiel der Tschainik mit meinem fast kochenden Ingwertee vom
Stock ins Feuer und löschte mit seinem heißen Inhalt, auf den ich
jetzt seit einer gefühlten Ewigkeit gewartet hatte und den ich
trinken wollte weil mir echt kalt war, ein Dreiviertel der Flammen.
Nun war ich etwas perplex, und statt einen gewaltigen Schreianfall zu
bekommen, schoss mit nur das Wort „Suboptimal“ durch den Kopf.
Ich packte als meine am Feuer aufgetauten Füße wieder ein, und ging
neues Holz sammeln. Scheißtag!
Micha
wuselte schon an der Hütte herum, doch zwischen uns lag heute
eisiges Schweigen, es herrschte dicke Luft und ich fühlte mich grade
definitiv nicht in der Lage diese Luft zu klären. Ich saß mit
schmerzenden, spröden Daumen, immer noch kalten Füßen und
knurrendem Magen an einem qualmenden Feuer, bockig wie ein kleines
Kind, sauer auf Micha und den Rest der Welt und kam nicht raus! Meine
Stimmung wollte sich trotz gewiefter Selbstüberlistungsversuche
nicht bessern, was mich natürlich noch viel übellauniger werden
ließ. Als ich also eine ganze Weile vor mich hin gebrütet hatte
setzte sich Micha irgendwann zu mir an Feuer und meinte das er
darüber nachgedacht hätte ob wir uns vielleicht grade zu doll
stressten mit unserem Hüttenbau und ob wir vielleicht heute Abend
nach Esso fahren sollten und uns pflegen, mal wieder unsere Probleme
mit dem Naturpark klärten und das deutsch – russische
Kommunikationsproblem beheben( immer die selbe alte Leier die seid
wir hier im Sommer aufgetaucht waren uns alle paar Wochen/ Monate
wieder heimsuchte, näheres will ich hier nicht erklären,
eingeweihte wissen wohl genau worum es geht!), mal schnell spontan
ein paar Projekte für eine Projektwoche in der Schule von Esso
vorbereiten...es gab seit Mitte dieser Woche plötzlich wieder viel,
sehr sehr viel zu Tun.
Aber gut,
Micha sprach mit seinen Gedanken aus dem Herzen, ich hatte auch schon
überlegt was uns grade so verkrampfen ließ und hatte ähnliche
Schlüsse gezogen. Nur war ich grade nicht in der Lage gewesen dies
zu äußern da ich in meinem Loch saß, aber dafür ist man ja
manchmal zu zweit. Und somit löste sich die ganze Spannung
allmählich in Luft auf! Der Druck war erstmal raus, somit war wieder
Platz für produktivere Gedanken und wir beschlossen mit der Arbeit
an der Hütte zu pausieren und unsere Kursprojekte in Anavgaj weiter
vorzubereiten. Wir wollten uns bevor wir heute Abend nach Esso fahren
wollten noch mit einer Lehrerin aus der Schule von Anavgaj treffen,
also fix angerufen und abgemacht. Mit Sack und Pack auf dem Rücken
klingelten wir uns durch die ersten Häuser in Anavgaj, denn genaue
Adressangaben mit sind hier meist am Telefon schwierig
herauszubekommen, es lebe die Kommunikation, bis wir endlich die
richtige Tür erwischten. Großes Hallo und ich will euch noch
schnell eine Paar heiße Quellen zeigen, die ihr mal mit eurem GPS in
eine Karte eintragen könnt für den Naturpark...dauert nur 15
Minuten! Nach einer Stunde ungeplantem Fußmarsch durch den
Tiefschnee und 5 Quellen später beendeten wir unseren unverhofften
Gepäckmarsch im Zentrum des Dorfes wo wir uns mit freundlichen
Worten verabschiedeten und zum Bus eilten.
Ich und
Micha schaute uns wieder nur an, Kamtschatka Modus, eigentlich nicht
mehr weiter zu kommentieren!
Genug für
Heute...
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