So weit
der Himmel reicht...
Die
Tage gingen ins Land, unser Hausstand wuchs, es wurden Schüsseln,
Löffel und Becher aus Holz her ausgebrannt und unsere Schneehöhle
hatte jetzt eine Weiche und isolierende Schlafunterlage aus
Kedratschzweigen die wir etwas Schräg in den Boden steckten damit
sich mehr Luftpolster bilden konnten. Sogar eine kleine Schlagfalle
aus einem Stein und drei Stöcken und eine Fangschlinge hatte uns
inzwischen einige fleischige Mahlzeiten eingebracht und uns mit dem
so dringend im Winter benötigtem Fett versorgt. Micha brachte es ab
und zu sogar zu einem ordentlichem Fisch den wir sogleich in dünne
Scheiben schnitten und an der Luft trocknen ließen, somit hatten wir
sogar etwas für zwischendurch zum Essen auf unseren immer größer
werdenden Streifzügen rund um unseren Lagerplatz. So mag wohl einige
Zeit ins Land gegangen sein bis die Wetterlage sich änderte und
wieder größere Schneefälle einsetzten und es nur noch wenig
Tageslicht gab, die Nächte immer länger. Es musste jetzt also kurz
vor der Wintersonnenwende sein! Zeit weiter zu ziehen, Zeit zurück
zu gehen in die Welt der Genossen und Genossinnen, der Kolchosen und
des Fortschritts. Dort hin wohin man uns gesandt hatte, um von
unseren Sowjetischen Brüdern zu lernen, zu lernen wie man einen
anständigen sozialistischen Staat aufbaut indem es das Unrecht der
Klassengesellschaft nicht mehr gibt, alle Menschen sich Brüder sind,
das Volk und nicht mehr der einzelne die Macht und das Eigentum
besitzt?
All
das ward uns, sonst so eifrigen Studenten die wir die Basis unseres
kleinen Arbeiter und Bauernstaates sein wollten, nun so völlig fern,
ja es schien sogar nicht mehr wichtig zu sein. Wir fühlten so als ob
wir das erste mal richtig wahrhaftig lebten, ganz einfach und ohne
den so heiß geliebten und gelobten Fortschritt mit seinem hohen
Tempo. Die Natur sorgte nun für uns, die Natur sorgte für ihre
Söhne, nicht mehr unser Staat...
Wir
dachten, diskutierten, debattierten...und gingen! Wir verabschiedeten
uns voller Ehrfurcht von dem Platz der uns für kurze Zeit Heimat
geworden, der für uns gesorgt hatte in schwerer Stunde, alles bereit
hielt ohne zu verlangen, wartete ohne Ungeduld bis wir alles
entdeckten. Als wir gingen, gingen wir gestärkt, und man würde
nicht meinen das wir die letzten Tage in Schnee und Kälte
verbrachten ohne Ofen und Haus! Doch unser Schritt war kraftvoll und
leicht als wir den Biegungen des Bystrajaflusses folgten, die
Ochotnikis uns über den hohen Schnee hinweg trugen.
Wir
überquerten zu Eis erstarrte Flüsse, fuhren durch den Schnee
umgedrückte Kedratschwäldchen, stapften durch Lächenwälder, weite
Tundraflächen durchquerten steile Geröllfelder und Hänge, mal
Nahe am Strom, mal weit vom Strom. So vergingen wohl Stunde um
Stunde, bis die Dämmerung über uns herein zu brechen drohte, als
Micha plötzlich ein Lichtlein in der Ferne sah, sich die Umrisse
einer Hütte aus der Dämmerung schählte, Rauch aus einem Kamin
aufstieg. Wir schnallten ab und klopften an. Ohne viele Worte waren
wir hereingebeten und an den groben Tisch gesetzt, alles ganz
selbstverständlich. „Ich habe euch bereits erwartet!“Eröffnete
uns Ljuda, ein alter kleiner Mann mit langem grauen Fusselbart und
tiefen Lachfalten um die Augen, mit freundlicher Stimme und
ersichtlicher Freude über unsere verdutzten Gesichter. „Ihr seid
die Beiden Nemezkis die es vor ein paar Wochen übel erwischt hat,
aber euch ist`s gut ergangen, stimmts? Sie hat für euch gesorgt,
stimmts?“ Wir nicken nur sprachlos, was Ljuda nur noch mehr
erheitert. Woher weist du das und wer ist Sie? Wollte ich nun wissen
mit meinen paar Brocken russisch und einer Unschuldsmiene wissen, da
ich mir nicht sicher war was er meinte. „Na, grüne Mutter
natürlich! Kommt schon ihr habt`s doch auch bemerkt, ich habe euch
beobachtet, tut nicht so! Sie hat euch beschenkt, über euch gewacht,
euch umsorgt! Und ihr wart dankbar, wolltet doch erst gar nicht
fortgehen, habt diskutiert, lang lange Zeit und dann seid ihr
gekommen...hierher zu mir, zum alten Ljuda!“
Micha
war irritiert, aber findet ein paar Worte. Aber wie...wie konntest du
wissen? Wie... du hast uns die ganze Zeit beobachtet? Ich dachte wir
waren allein? Jaja, dachtet ihr also hihi feigst der alte Ljuda.
...Wart ihr auch wart ihr auch...zeitweilig, allein und doch nicht
einsam, stimmts? Ich verstand kein Wort mehr, alles drehte sich in
meinem Kopf...und doch wusste ein Teil von mir ganz genau was Ljuda
meinte, das er recht hatte! Ja, es war mir auch so vorgekommen als ob
sich jemand die ganze Zeit um uns kümmerte. Doch wir waren ja ganz
allein da draußen...da war niemand außer uns und doch hatten wir
Beide die ganze Zeit das Gefühl gehabt behütet zu sein, wir hatten
uns ja sogar richtig wohl gefühlt. Micha fand jetzt auch endlich
wieder aus seinen Gedanken und fragte. Du Ljuda, was meinst du damit
du hast uns die ganze Zeit beobachtet, wir waren doch allein dort im
Tal mit all den Tieren, Bäumen, dem Wasser und dem Schnee?
Ja,
wart ihr und doch wart ihr`s eben nicht, Söhnchen! Sagte Ljuda mit
vielsagender Miene. Hast du denn die Raben gar nicht bemerkt,
Michael? Äh doch...entfuhr es Micha verdutzt, das der Alte
offensichtlich seinen Namen kannte. Siehst du, meinte Ljuda
schelmisch grinsend. Ja, wir haben den Raben ein paar mal etwas von
unseren Essensresten hingelegt, fiel es mir ein.
Und
es hat ihnen anscheinend sehr gut geschmeckt euer Eichhörnchen und
der Schneehase...erwiderte der Alte, legte den Kopf schräg zur Seite
und wirkte so als habe er den Geschmack von etwas völlig erlesenem
auf der Zunge. Da fielen mir plötzlich die fast schwarzen Augen
Ljudas auf und ich blickte zu Micha, der wohl laut seinen skeptischem
Blick auch grade diese Entdeckung gemacht haben musste. Doch
vielleicht täuschte ich mich auch einfach. Wir versuchten noch
mehrmals genaueres von Ljuda zu erfahren, was er denn nun meinte,
doch aus dem alten Kauz war nichts, wirklich rein gar nichts klares
herauszubekommen. Von der wohligen Wärme, dem vielen heißen Tee
wurden mir meine Augen langsam schwer, so als ob ich Tagelang nicht
geschlafen hätte und allmählich sank mein Kopf auf den Tisch. Ich
muss wohl eingeschlafen sein! Doch als ich erwachte war ich nicht
etwa in Ljudas alter Hütte sondern lag mit Micha an meiner Seite auf
Kedratschzeigen gebettet und zugedeckt unter einer große alten
Lärche, der Morgen dämmerte bereits und es war kalt. Über uns auf
einem Ast krächzte ein Rabe und hüpfte aufgeregt auf und ab, bis
auch Micha endlich erwacht war, dann flatterte er uns ca. zwei Meter
vor die Füße, legte den Kopf schief und sah jeden von uns noch mal
prüfend an, so als ob er sich vergewissern wollte ob es uns gut gehe
und flog unter lautem Krächzen davon.
Verwirrt
von unser Lage rappelte ich mich auf klaubte etwas Reisig zusammen,
sammelte ein paar trockene Äste und entzündete ein Feuer.
Schweigend saßen wir noch lange da bis die Sonne hoch am Himmel
stand. Wir aßen noch etwas von unserem Trockenfisch und machten uns
dann auf den Weg den mein Kompass und der Lauf des Tales uns wies.
Nach etwa vier Stunden auf den Ochotnikis hörten wir schon aus der
Ferne her das erste Hundegebell, wir hatten es also tatsächlich
geschafft, wir kamen der vermeidlichen Zivilisation immer näher.
Bald Tauchten die ersten Schlittenspuren auf und bald Wege, erste
Bauten, dann kam die Siedlung in Sicht. Esso, da war es also wieder.
Im Außen sah noch alles sah noch gleich aus und doch in unserm
Inneren hatte sich wohl alles verändert!
Ab
diesen Tagen sahen wir anders auf die Welt, wir sahen überall die
grüne Mutter!
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