Samstag, 8. Dezember 2012

30.November - 06. Dezember,...So weit der Himmel reicht...








So weit der Himmel reicht...

Die Tage gingen ins Land, unser Hausstand wuchs, es wurden Schüsseln, Löffel und Becher aus Holz her ausgebrannt und unsere Schneehöhle hatte jetzt eine Weiche und isolierende Schlafunterlage aus Kedratschzweigen die wir etwas Schräg in den Boden steckten damit sich mehr Luftpolster bilden konnten. Sogar eine kleine Schlagfalle aus einem Stein und drei Stöcken und eine Fangschlinge hatte uns inzwischen einige fleischige Mahlzeiten eingebracht und uns mit dem so dringend im Winter benötigtem Fett versorgt. Micha brachte es ab und zu sogar zu einem ordentlichem Fisch den wir sogleich in dünne Scheiben schnitten und an der Luft trocknen ließen, somit hatten wir sogar etwas für zwischendurch zum Essen auf unseren immer größer werdenden Streifzügen rund um unseren Lagerplatz. So mag wohl einige Zeit ins Land gegangen sein bis die Wetterlage sich änderte und wieder größere Schneefälle einsetzten und es nur noch wenig Tageslicht gab, die Nächte immer länger. Es musste jetzt also kurz vor der Wintersonnenwende sein! Zeit weiter zu ziehen, Zeit zurück zu gehen in die Welt der Genossen und Genossinnen, der Kolchosen und des Fortschritts. Dort hin wohin man uns gesandt hatte, um von unseren Sowjetischen Brüdern zu lernen, zu lernen wie man einen anständigen sozialistischen Staat aufbaut indem es das Unrecht der Klassengesellschaft nicht mehr gibt, alle Menschen sich Brüder sind, das Volk und nicht mehr der einzelne die Macht und das Eigentum besitzt?
All das ward uns, sonst so eifrigen Studenten die wir die Basis unseres kleinen Arbeiter und Bauernstaates sein wollten, nun so völlig fern, ja es schien sogar nicht mehr wichtig zu sein. Wir fühlten so als ob wir das erste mal richtig wahrhaftig lebten, ganz einfach und ohne den so heiß geliebten und gelobten Fortschritt mit seinem hohen Tempo. Die Natur sorgte nun für uns, die Natur sorgte für ihre Söhne, nicht mehr unser Staat...
Wir dachten, diskutierten, debattierten...und gingen! Wir verabschiedeten uns voller Ehrfurcht von dem Platz der uns für kurze Zeit Heimat geworden, der für uns gesorgt hatte in schwerer Stunde, alles bereit hielt ohne zu verlangen, wartete ohne Ungeduld bis wir alles entdeckten. Als wir gingen, gingen wir gestärkt, und man würde nicht meinen das wir die letzten Tage in Schnee und Kälte verbrachten ohne Ofen und Haus! Doch unser Schritt war kraftvoll und leicht als wir den Biegungen des Bystrajaflusses folgten, die Ochotnikis uns über den hohen Schnee hinweg trugen.
Wir überquerten zu Eis erstarrte Flüsse, fuhren durch den Schnee umgedrückte Kedratschwäldchen, stapften durch Lächenwälder, weite Tundraflächen durchquerten steile Geröllfelder und Hänge, mal Nahe am Strom, mal weit vom Strom. So vergingen wohl Stunde um Stunde, bis die Dämmerung über uns herein zu brechen drohte, als Micha plötzlich ein Lichtlein in der Ferne sah, sich die Umrisse einer Hütte aus der Dämmerung schählte, Rauch aus einem Kamin aufstieg. Wir schnallten ab und klopften an. Ohne viele Worte waren wir hereingebeten und an den groben Tisch gesetzt, alles ganz selbstverständlich. „Ich habe euch bereits erwartet!“Eröffnete uns Ljuda, ein alter kleiner Mann mit langem grauen Fusselbart und tiefen Lachfalten um die Augen, mit freundlicher Stimme und ersichtlicher Freude über unsere verdutzten Gesichter. „Ihr seid die Beiden Nemezkis die es vor ein paar Wochen übel erwischt hat, aber euch ist`s gut ergangen, stimmts? Sie hat für euch gesorgt, stimmts?“ Wir nicken nur sprachlos, was Ljuda nur noch mehr erheitert. Woher weist du das und wer ist Sie? Wollte ich nun wissen mit meinen paar Brocken russisch und einer Unschuldsmiene wissen, da ich mir nicht sicher war was er meinte. „Na, grüne Mutter natürlich! Kommt schon ihr habt`s doch auch bemerkt, ich habe euch beobachtet, tut nicht so! Sie hat euch beschenkt, über euch gewacht, euch umsorgt! Und ihr wart dankbar, wolltet doch erst gar nicht fortgehen, habt diskutiert, lang lange Zeit und dann seid ihr gekommen...hierher zu mir, zum alten Ljuda!“
Micha war irritiert, aber findet ein paar Worte. Aber wie...wie konntest du wissen? Wie... du hast uns die ganze Zeit beobachtet? Ich dachte wir waren allein? Jaja, dachtet ihr also hihi feigst der alte Ljuda. ...Wart ihr auch wart ihr auch...zeitweilig, allein und doch nicht einsam, stimmts? Ich verstand kein Wort mehr, alles drehte sich in meinem Kopf...und doch wusste ein Teil von mir ganz genau was Ljuda meinte, das er recht hatte! Ja, es war mir auch so vorgekommen als ob sich jemand die ganze Zeit um uns kümmerte. Doch wir waren ja ganz allein da draußen...da war niemand außer uns und doch hatten wir Beide die ganze Zeit das Gefühl gehabt behütet zu sein, wir hatten uns ja sogar richtig wohl gefühlt. Micha fand jetzt auch endlich wieder aus seinen Gedanken und fragte. Du Ljuda, was meinst du damit du hast uns die ganze Zeit beobachtet, wir waren doch allein dort im Tal mit all den Tieren, Bäumen, dem Wasser und dem Schnee?
Ja, wart ihr und doch wart ihr`s eben nicht, Söhnchen! Sagte Ljuda mit vielsagender Miene. Hast du denn die Raben gar nicht bemerkt, Michael? Äh doch...entfuhr es Micha verdutzt, das der Alte offensichtlich seinen Namen kannte. Siehst du, meinte Ljuda schelmisch grinsend. Ja, wir haben den Raben ein paar mal etwas von unseren Essensresten hingelegt, fiel es mir ein.
Und es hat ihnen anscheinend sehr gut geschmeckt euer Eichhörnchen und der Schneehase...erwiderte der Alte, legte den Kopf schräg zur Seite und wirkte so als habe er den Geschmack von etwas völlig erlesenem auf der Zunge. Da fielen mir plötzlich die fast schwarzen Augen Ljudas auf und ich blickte zu Micha, der wohl laut seinen skeptischem Blick auch grade diese Entdeckung gemacht haben musste. Doch vielleicht täuschte ich mich auch einfach. Wir versuchten noch mehrmals genaueres von Ljuda zu erfahren, was er denn nun meinte, doch aus dem alten Kauz war nichts, wirklich rein gar nichts klares herauszubekommen. Von der wohligen Wärme, dem vielen heißen Tee wurden mir meine Augen langsam schwer, so als ob ich Tagelang nicht geschlafen hätte und allmählich sank mein Kopf auf den Tisch. Ich muss wohl eingeschlafen sein! Doch als ich erwachte war ich nicht etwa in Ljudas alter Hütte sondern lag mit Micha an meiner Seite auf Kedratschzeigen gebettet und zugedeckt unter einer große alten Lärche, der Morgen dämmerte bereits und es war kalt. Über uns auf einem Ast krächzte ein Rabe und hüpfte aufgeregt auf und ab, bis auch Micha endlich erwacht war, dann flatterte er uns ca. zwei Meter vor die Füße, legte den Kopf schief und sah jeden von uns noch mal prüfend an, so als ob er sich vergewissern wollte ob es uns gut gehe und flog unter lautem Krächzen davon.
Verwirrt von unser Lage rappelte ich mich auf klaubte etwas Reisig zusammen, sammelte ein paar trockene Äste und entzündete ein Feuer. Schweigend saßen wir noch lange da bis die Sonne hoch am Himmel stand. Wir aßen noch etwas von unserem Trockenfisch und machten uns dann auf den Weg den mein Kompass und der Lauf des Tales uns wies. Nach etwa vier Stunden auf den Ochotnikis hörten wir schon aus der Ferne her das erste Hundegebell, wir hatten es also tatsächlich geschafft, wir kamen der vermeidlichen Zivilisation immer näher. Bald Tauchten die ersten Schlittenspuren auf und bald Wege, erste Bauten, dann kam die Siedlung in Sicht. Esso, da war es also wieder. Im Außen sah noch alles sah noch gleich aus und doch in unserm Inneren hatte sich wohl alles verändert!

Ab diesen Tagen sahen wir anders auf die Welt, wir sahen überall die grüne Mutter!


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