Um 9.30 Uhr Esso, Kamtschatka,
Ortszeit, ich verlasse die Büßerpritsche mit einem kritischen Blick
aus dem Fenster. Man, in diesem Fall eine Frau Namens Judith, hatte
uns regen prophezeit und so schlecht schien ihre Vermutung an diesem
wolkenverhangenen, warmen Tag in Zentralkamtschatka gar nicht zu
sein. Die Chancen für ergiebiges Nass von Oben standen nach meinem
Dafürhalten nicht schlecht. Gut für unser Kartoffelbeet im alten
Gewächshaus hinter der Base, mittelgut für den passionierten
Wanderer, obwohl hieß es nicht irgendwo das es kein Schlechtes
Wetter gäb, sondern nur unpassend Bekleidete Menschen? Anyway, auf
geht’s heute zum Ikarsee. Hoch motiviert verlasse ich die Basa und
treffe mich vor der Cebvejanka, dem örtlichen Milchladen wo es noch
die guten alten Milchtüten zu kaufen gibt wie in meiner Kindheit zu
Friedenszeiten, mit Judith und ihrer ewenischen Freundin XXXXX.
Manchmal ist es hier auf Kamtschatka
wie eine Zeitreise in meine Kindheit, zurück in die DDR! Es ist sehr
interessant sich selbst zu beobachten welche Gefühle mich hier
durchwandern wenn ich einen Geschmack, eine ähnlich Verpackung,
alte Babuschkas mit Kittelschürzen oder Kopftüchern, usw. sehe! Ich
leben nun schon mehr Jahre im „Westen“ als ich in meiner Kindheit
in der DDR verbracht habe, doch spüre mich in solchen Momenten immer
wieder ein komisches Gefühl im Bauch, manchmal wie einen kleinen
Stich. Und wenn ich genauer hinein spüre kann ich es meist als
vertrautes Heimatgefühl mit einem Schuss Wehmut identifizieren.
Komisch oder? Ist das so weil ich meine Kindheit in einem Land
verbracht habe das noch geographisch irgendwie noch am selben Platz
ist und doch nicht mehr Existiert, oder ist das jetzt schon die
Sentimentalität des Alters? Oha, na dit kann ja noch heiter werden
im weiteren Fortschreiten meiner Tage denke ich so bei mir und sehe
mich bereits als vor sich hin sinnierenden Opa, sich auf den Gehstock
stützend auf seiner Bank vor dem Haus sitzend. Ja, das hatte mir ja
s schon seiner Zeit meine Exfreundin Jessica prophezeit das dit ja
mal soweit kommen müsse! Allerdings mir dem Zusatz das ick in ihrer
Phantasie auf meiner Bank als alter Stiesel mit erhobenem Krückstock
Kinder verscheuche und auf die Jugend schimpfe! Naja...reden wir
nicht weiter drüber!
Nach dem wir also Esso hinter uns
gelassen hatten, die Moskitos und wieder umschwärmten, entdeckten
wir auf unserem Weg, am Wegesrand, dann wieder auf dem Weg, große
und kleine Bärenspuren! Ha, na bitte! Das Gesprächsthema der
letzten Tage in Esso warnen auch immer wieder Bären, in
unterschiedlichsten Versionen gewesen. Ob nun Bärensichtungen oder
Bären die Menschen verfolgten, Touristen skalpierten bis hinzu
Menschen die verschwanden, war alles dabei!
Nun sahen wir endlich auch mal schöne
deutliche Bärenspuren was mich persönlich sehr freute und ick die
nächste halbe Stunde mit der Nase auf dem Boden verbrachte was unser
Tempo doch etwas bremste. Dann wurde der Weg steiler und steiler und
plötzlich tat sich der Ikarsee, eingebettet in eine kleine Talsohle
vor uns auf. Schön, kalt und einsam lag er da, umrahmt von
Lavafelsen und Lärchenleichen die noch vom letzten Waldbrand
übriggeblieben waren. Ein wenig morbide Stimmung hier auch im
tristen Grau des wolkenverhangenen Tages, doch auch sehr schön!
Das mit der ruhe änderte sich
allerdings baldigst als die ersten russischen Picknicker mit ihren
Geländewagen, Kindern und Hunden anrückten. Tja, mit dem Auto eben
Naherholungsgebiet von Esso. ;-) Time to go! Good bye lovely Ikarsee!
Am Abend gings noch ins Dom Kultura
(Kulturhaus) ab zur Dorfdisse! Wieder ein ganz besonderes Erlebnis!
Wir wurden sofort nachdem man uns als deutsche erkannt hatte an einen
Tisch gezerrt und zum bereits üblichen Vodka eingeladen. Der erste
Gesellen lag schon eine halbe Stunde später lang dahin gestreckt auf
der Bank, dem Vodka erlegen! Die Tanzveranstaltung im örtlichen
Kulturhaus musste wohl an eine Tanzveranstaltung auf den Dörfern in
Brandenburg in den 80ern erinnern! Tische und Bänke an den Seiten,
Alte und Junge mächtig am picheln und tolle russische 80er
Jahremusik und Balladen!
Wir warfen uns als sogleich ins
Tanzvergnügen nicht nur weil die Musik den ganzen Körper zur
Bewegung aufforderte, sondern vor Allem voran uns von den Tischen
der Russen und dem damit verbundenen Vodkaimput fernhielt! Schon 2
Stunden später spielten sich bereits erste Verbrüderungsszenen vor
der Tür des Tanzsaales ab wo unser Verbindungsgenosse Clemens zum
wiederholten Male mit einem Genossen der Freiwilligen Feuerwehr Esso
auf die Deutsch - Russische Freundschaft anstieß!
Um 3 Uhr war dann für uns
Zapfenstreich da die Außenhülle unsrer Seele, genannt Körper, ihre
berechtigte Regenerationszeit einforderte.
Gute Nacht und Nasdrovje Towarisch!
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