Sonntag, 29. Juli 2012

28. Juli 2012, Ikarsee und Russendisko


Um 9.30 Uhr Esso, Kamtschatka, Ortszeit, ich verlasse die Büßerpritsche mit einem kritischen Blick aus dem Fenster. Man, in diesem Fall eine Frau Namens Judith, hatte uns regen prophezeit und so schlecht schien ihre Vermutung an diesem wolkenverhangenen, warmen Tag in Zentralkamtschatka gar nicht zu sein. Die Chancen für ergiebiges Nass von Oben standen nach meinem Dafürhalten nicht schlecht. Gut für unser Kartoffelbeet im alten Gewächshaus hinter der Base, mittelgut für den passionierten Wanderer, obwohl hieß es nicht irgendwo das es kein Schlechtes Wetter gäb, sondern nur unpassend Bekleidete Menschen? Anyway, auf geht’s heute zum Ikarsee. Hoch motiviert verlasse ich die Basa und treffe mich vor der Cebvejanka, dem örtlichen Milchladen wo es noch die guten alten Milchtüten zu kaufen gibt wie in meiner Kindheit zu Friedenszeiten, mit Judith und ihrer ewenischen Freundin XXXXX.
Manchmal ist es hier auf Kamtschatka wie eine Zeitreise in meine Kindheit, zurück in die DDR! Es ist sehr interessant sich selbst zu beobachten welche Gefühle mich hier durchwandern wenn ich einen Geschmack, eine ähnlich Verpackung, alte Babuschkas mit Kittelschürzen oder Kopftüchern, usw. sehe! Ich leben nun schon mehr Jahre im „Westen“ als ich in meiner Kindheit in der DDR verbracht habe, doch spüre mich in solchen Momenten immer wieder ein komisches Gefühl im Bauch, manchmal wie einen kleinen Stich. Und wenn ich genauer hinein spüre kann ich es meist als vertrautes Heimatgefühl mit einem Schuss Wehmut identifizieren. Komisch oder? Ist das so weil ich meine Kindheit in einem Land verbracht habe das noch geographisch irgendwie noch am selben Platz ist und doch nicht mehr Existiert, oder ist das jetzt schon die Sentimentalität des Alters? Oha, na dit kann ja noch heiter werden im weiteren Fortschreiten meiner Tage denke ich so bei mir und sehe mich bereits als vor sich hin sinnierenden Opa, sich auf den Gehstock stützend auf seiner Bank vor dem Haus sitzend. Ja, das hatte mir ja s schon seiner Zeit meine Exfreundin Jessica prophezeit das dit ja mal soweit kommen müsse! Allerdings mir dem Zusatz das ick in ihrer Phantasie auf meiner Bank als alter Stiesel mit erhobenem Krückstock Kinder verscheuche und auf die Jugend schimpfe! Naja...reden wir nicht weiter drüber!
Nach dem wir also Esso hinter uns gelassen hatten, die Moskitos und wieder umschwärmten, entdeckten wir auf unserem Weg, am Wegesrand, dann wieder auf dem Weg, große und kleine Bärenspuren! Ha, na bitte! Das Gesprächsthema der letzten Tage in Esso warnen auch immer wieder Bären, in unterschiedlichsten Versionen gewesen. Ob nun Bärensichtungen oder Bären die Menschen verfolgten, Touristen skalpierten bis hinzu Menschen die verschwanden, war alles dabei!
Nun sahen wir endlich auch mal schöne deutliche Bärenspuren was mich persönlich sehr freute und ick die nächste halbe Stunde mit der Nase auf dem Boden verbrachte was unser Tempo doch etwas bremste. Dann wurde der Weg steiler und steiler und plötzlich tat sich der Ikarsee, eingebettet in eine kleine Talsohle vor uns auf. Schön, kalt und einsam lag er da, umrahmt von Lavafelsen und Lärchenleichen die noch vom letzten Waldbrand übriggeblieben waren. Ein wenig morbide Stimmung hier auch im tristen Grau des wolkenverhangenen Tages, doch auch sehr schön!

Das mit der ruhe änderte sich allerdings baldigst als die ersten russischen Picknicker mit ihren Geländewagen, Kindern und Hunden anrückten. Tja, mit dem Auto eben Naherholungsgebiet von Esso. ;-) Time to go! Good bye lovely Ikarsee!

Am Abend gings noch ins Dom Kultura (Kulturhaus) ab zur Dorfdisse! Wieder ein ganz besonderes Erlebnis! Wir wurden sofort nachdem man uns als deutsche erkannt hatte an einen Tisch gezerrt und zum bereits üblichen Vodka eingeladen. Der erste Gesellen lag schon eine halbe Stunde später lang dahin gestreckt auf der Bank, dem Vodka erlegen! Die Tanzveranstaltung im örtlichen Kulturhaus musste wohl an eine Tanzveranstaltung auf den Dörfern in Brandenburg in den 80ern erinnern! Tische und Bänke an den Seiten, Alte und Junge mächtig am picheln und tolle russische 80er Jahremusik und Balladen!
Wir warfen uns als sogleich ins Tanzvergnügen nicht nur weil die Musik den ganzen Körper zur Bewegung aufforderte, sondern vor Allem voran uns von den Tischen der Russen und dem damit verbundenen Vodkaimput fernhielt! Schon 2 Stunden später spielten sich bereits erste Verbrüderungsszenen vor der Tür des Tanzsaales ab wo unser Verbindungsgenosse Clemens zum wiederholten Male mit einem Genossen der Freiwilligen Feuerwehr Esso auf die Deutsch - Russische Freundschaft anstieß!
Um 3 Uhr war dann für uns Zapfenstreich da die Außenhülle unsrer Seele, genannt Körper, ihre berechtigte Regenerationszeit einforderte.

Gute Nacht und Nasdrovje Towarisch!


Ben

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